Europas Kraft im Antifaschismus

Ein Kommentar von Bernhard Schüßler, Vorstandsmitglied des Grünen Ortsverbands

Am Montag nach der letzten Bundestagswahl wollte ich wie üblich in die Schule fahren. Ich wartete auf meine S-Bahn und versuchte mir zu erklären, wieso die AFD als drittstärkste Kraft in den Bundestag einziehen konnte. Als ich in meinen Zug einstieg hörte ich eine laute Männerstimme: „Du scheiß Blinder! Geh doch nach Dachau.“ Meine Reaktion war etwas träge, ich drehte mich um und sah keinen. Meine Fassungslosigkeit war umso größer, dass sich keiner im vollen Morgenzug dazu aufrappelte, etwas zu sagen. Bis heute weiss ich nicht, wer es war, aber dieser Vorfall hat mich geprägt. Es war der 25.9.2017, genau einen Tag nach dem Einzug der AFD. Nach dem Ereignis in der S-Bahn erinnerte ich mich wieder an die Drohung des AFD Parteichefs Gauland am Wahlabend. Er sagte mit geballter Faust: „Wir werden sie jagen!“ Damals dachte ich, er meint die Regierung und die restliche Opposition, später merkte ich, wer die tatsächlichen Adressaten dieser Ankündigung waren.

Der Antisemitismus grassiert in Europa. In Frankreich wurde ein jüdischer Philosoph, während einer Demonstration von Gelbwesten attackiert. Am Anfang des Jahres wurden wiederholt jüdische Gräber geschändet, eine der antisemitischen Taten, die um insgesamt unfassbare 74% im letzten Jahr angestiegen sind.

In Deutschland ist es kaum besser. Im letzten Jahr stiegen antisemitische Straftaten auf 1500, antimuslimische auf 1000. Die „Neue Rechte“ versucht die Straßen zu erobern. Der FN von Marine le Pen hat ähnlich wie die FPÖ in Österreich seit Jahrzehnten ihr Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft tragen können und sich in Medien und Öffentlichkeit profiliert. Die Neonaziaufmärsche in Chemnitz im letzten Sommer gaben Anlass zur Sorge, dass es in Deutschland bald ähnlich sein könnte. Die Hetze der Polnischen PIS-Regierung begünstigte ein Klima des Hasses, dem der Danziger OB Adamovic zum Opfer fiel.

Wieso unterstützt Putin Rechtsradikale in ganz Europa mit Desinformation im Netz und durch dubiose Spenden? Wieso sind Trump und Bolsonaro, der neugewählte Faschist Brasiliens, beste Freunde? Und wieso unterstützt China Diktatoren auf der ganzen Welt mit Großinvestitionen? Ganz einfach, weil die Großmächte dieser Welt kein Interesse daran haben, sich mit selbstbewussten Demokratien herumschlagen zu müssen. Am liebsten halten sie diese Länder schwach, das heißt sie stützen die korrupte Elite, die ihnen am vielversprechendsten erscheint. In Demokratien gibt es nämlich eine Sache, die den Mächtigen dieser Welt gar nicht gefällt, eine mündige Bevölkerung. Es ist für außenstehende Mächte daher Usus, zu versuchen die Gesellschaft zu spalten. Und die anscheinend einhellige Meinung in China, den USA und Russland ist, dass die Rechtsextremen am besten in der Lage sind, unsere Europäische Demokratie zu schwächen. Da haben sie mehr als Recht.

Einer dieser Rechtsextremen ist Alexander Gauland. Mit seiner Drohung, die Gegner zu jagen versuchte er eben die Menschen einzuschüchtern, die diese Gesellschaft aktiv gestalten. Denn somit werden diese demokratischen Hürden ausgebaut, die es ihm und seiner Partei erschweren, aus dem Land zu machen was sie wollen, nämlich einen homogenen und autoritären Überwachungsstaat. Homogen, weil ihre Ideologie so dermaßen primitiv ist, dass in ihrer Welt ein äußerlich andersartiger immer Gefahr ausstrahlt und deshalb unterdrückt werden muss. Autoritär, weil diese Ablehnung der Andersartigkeit sich auch auf politische Überzeugungen übertragen lässt und sie nicht in der Lage sind, Kontroversen zivilisiert und demokratisch zu debattieren, sondern jede kleinste Kritik als Bedrohung ihrer Machtansprüche verstehen. Überwachungsstaat, weil sie „dem Volk“ misstrauen, welches sie durch gezielte Propaganda zu instrumentalisieren versuchen, um ihren Machtdurst zu bändigen. Gewaltenteilung, freie Presse, stark verankerte Verfassungen mit Menschenrechtsbindung und vor Allem wachsame Bürger*innen sind die Schutzinstanzen gegen Autokraten.

Europa stärkt Demokratien

Ein Verbund gleichgesinnter Staaten ist zwischen den großen Ländern nur dann ein ebenbürtiger Akteur, wenn sich diese Länder gegenseitig unterstützen und gemeinsame Ziele verfolgen. Brüssel und die EU sollten als gemeinsame Gewerkschaft der Europäischen Länder verstanden werden, die eine unabhängige Entwicklung des Kontinents ermöglichen und fördern.

Die, die am meisten von Souveränitätsverlust durch Brüssel sprechen sind dieselben, die die demokratische Selbstbestimmung eines ganzen Kontinents aufs Spiel setzen. Sie sind Vasallen ihrer Gönner ohne es zu merken. Sie nehmen ihre Hilfe dankend an und erfüllen somit genau den von ihren Unterstützern vorgesehenen Zweck, nämlich die demokratischen Schutzschilde, die Zivilgesellschaft herunterzuklappen. Souveränität für ein Demokratisches Land in einer Welt im Umbruch heißt, sich mit Gleichgesinnten zu verbünden, um ein wirksames Gegengewicht auf der Weltbühne, eine ehrliche Stimme für Diplomatie und friedliche Verständigung zu bilden. Die EU ist dafür genau richtig.

Die Notwendigkeit von Europa speist sich nicht länger nur aus dem Vorsatz nie wieder Krieg und Völkermord auf Europäischen Boden zuzulassen, sondern beruht auf einem tiefgreifenden Verständnis, dass nur liberale Demokratien in der Lage sind, eine bessere Welt in sozialer, ökologischer und ökonomischer Sicht zu gestalten. Europa definiert sich demnach über ein „Für immer“, der das Bekenntnis zur humanistischen freiheitlichen Demokratie mitenthält.

Rechte Kräfte bauen in Europa auf Verbündete, um die Bevölkerung in Angst zu versetzen und ihren Hass zu nähren. In Ungarn hat Orban seit 2010 seine Fidesz Partei von einer konservativen zu einer antidemokratischen geführt und Medien sowie Justiz gleichgeschaltet. In Polen holt die ultra konservative PIS mit schnellen Schritten auf. In Malta und der Slowakei werden unliebsame Journalisten ermordet, weil sie zu korrupten Machenschaften der jeweils sozialdemokratischen Regierungen recherchierten und in Rumänien versucht die sozial-liberale Mehrheit im Parlament, dem bereits der Korruption überführten Parteichef Dragnea durch ein Amnestiegesetz aus seinem Strafverfahren zu helfen, während proeuropäische Vereinigungen nicht zur Europawahl zugelassen werden. An diesen traurigen Beispielen sieht man, dass keine der großen demokratischen Parteien immun gegen Autoritarismus ist.

Das Gegengewicht zu solchen Gruppierungen liegt in Europa. Wer sonst als eine Europäische Zivilgesellschaft könnte diese Regierungen unter Druck setzen? Menschen gehen auf die Straßen und schwenken Europafahnen von Bukarest bis Lissabon, zwischen Stockholm und Madrid, Bewegungen wie Pulse oft Europe schenken Europäer*innen Hoffnung in allen Mitgliedsländern. Über die neuen Medien verbreiten sich die Solidaritätsbekundungen zu Europa rasant und schaffen somit eine gemeinsame Identität. Was Macron in seiner Rede in der Sorbonne zu erklären versuchte, haben die Bürger der EU in die Tat umgesetzt. Sie wollten nicht auf ihre lahmen Kanzlerinnen oder desinteressierten Präsidenten warten und begannen Zeichen zu setzen. Davon brauchen wir viel mehr und endlich eine Vision von einem gemeinsamen Europa. Die Menschen auf der Straße holen sich ihr Friedens- und Freiheitsprojekt zurück, aus den Hinterzimmern und Lobbybüros, denen in den letzten Jahren viel zu viel Macht zugekommen waren. Ein Europäisches Projekt, das begeistert, muss von den Bürger*innen kommen und mehr Transparenz und Gemeinschaft fordern. Die Staatschefs können sich mit ihrer nationalen Brille nicht langfristig einer Europäischen Öffentlichkeit erwehren, die konkrete Verbesserungen verlangt. Erst wenn Merkel und Macron zu gemeinsamem, Europäischem Handeln genötigt werden, wird der Rechte Würgegriff brechen.

Faschisten und Antidemokraten allgemein wird es immer geben, das kann man nicht ändern. Was man als Demokrat*in aber kann, ist es die Einflussmöglichkeit dieser Antidemokraten zu minimieren. Die Demokratie scheitert nie an ihren Gegnern, sondern an ihren passiven Anhängern. Denn die größte Stärke der Demokratie ist zugleich ihr größter Schwachpunkt. Es braucht immer wachsame und aktive Bürger, die bereit sind sich gegen Autoritäre zu stellen. Stirbt der Mut der Zivilgesellschaft, stirbt die Demokratie. Leider fehlte den Fahrgästen der S-Bahn der Mut, aufzuschreien und die rote Linie zu ziehen, die der Mann mir gegenüber eindeutig überschritten hatte.

Angst ist die Waffe autoritärer Kräfte, die zum Ziel hat, Menschen zu spalten. Mut ist das was die Gesellschaft zusammenschweißt. In diesem Spannungsverhältnis muss Europa bestehen und am besten gelingt das, wenn sich Europa selbstbewusst den Rechten in den Weg stellt, denn die EU ist unser Schutz vor der Rückkehr grausamer Kapitel der Geschichte.

 

 

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