Das richtige Maß – der richtige Weg

Kolumne – Juli 2013

Nun ist es also soweit. Das Ehrenamt ist in den Kolumnen der Kirchheimer Mitteilungen angekommen. Anerkennung, Dankbarkeit – alles gut und wichtig. Doch kommt es mir vor, als höre ich nur noch „Ehrenamt“. Und das weckt bei mir zwiespältige Gefühle. Als Gemeinderat und Vereinsvorsitzender darf ich in meiner Kolumne etwas weniger Rücksicht auf „political correctness“ nehmen.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend spricht im Engagementmonitor 2012 von „freiwilliger Bürgerpflicht“. Was für ein semantischer Unsinn! Besser gefiel mir hingegen ein Interview mit dem zwischenzeitlich verstorbenen Bundestagsabgeordneten Dr. Michael Bürsch in der Berliner Woche. Er ist dort eindeutig: „Entscheidendes Element beim bürgerschaftlichen Engagement ist die Freiwilligkeit, alles andere ist kontraproduktiv. Bürgerschaftliches Engagement ist ein Bürgerrecht, keine Pflicht. Mit der neuen Definition bekommt das Thema einen  ideologischen Zugang, der nicht förderlich ist.“ Herr Dr. Bürsch war Vorsitzender der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ und anschließend bis 2009 Vorsitzender des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“.

Hinter vieles, was ich sonst zum Thema las, würde ich ein Fragezeichen setzen: „Zivilgesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement sind unverzichtbar und fördern den Zusammenhalt der Gesellschaft.“ Oft ist vom Kitt der Gesellschaft die Rede. Doch Begriffe wie Verantwortung und vor allem Leistungsbereitschaft in diesem Kontext einen nicht, sondern spalten. In die „Guten“, von denen freilich viele die dauernde Würdigung eher als peinlich empfinden und die „Bösen“, denen ein schlechtes Gewissen gemacht wird und Leistungsunwilligkeit unterstellt wird. Viel zu wenig ist vom Spaß und von der Freude am Amt die Rede. Sei es in den Sportvereinen oder als Schülerlotse der Umgang mit Kindern und Jugendlichen oder bei der Freiwilligen Feuerwehr das Retten von Menschenleben und das Gruppenerlebnis. Mit positiven Gefühlen macht man Werbung, nicht mit dem Zeigefinger.

Der Kabarettist Dieter Nuhr sagt, er habe noch nie geraucht, aber wenn Rauchen auf der Straße verboten wird, fängt er damit an. Wenn wir übertreiben, wecken wir Widerstand. Dann werden uns bald Begriffe wie „Diktatur der Gutmenschen“ entgegenschallen. Die Dosis macht das Gift. Legen wir die Latte nicht zu hoch. Gemeinsinn kann sich auch einfach dadurch ausdrücken, dass man auf dem Weg vom geparkten Auto zur Haustür einen weggeworfenen Coffee-to-go Becher aufhebt oder die Reste eines – ja, das gibt es in Kirchheim – zerbröselnden Bordsteins einsammelt, bevor ein Radfahrer oder Fußgänger darüber stürzt.

In die Kategorie „Inflation der Ehrungen“ gehört auch die Sportlerehrung im vergangenen März. Über € 9.000 hat sie gekostet. Hier scheint das Maß verloren gegangen zu sein. Es gibt Städte mittlerer Größe, die mit der Hälfte auskommen. Viele, viele Jahre als Betreuer oder sportliche Erfolge auf Landes- und Bundesebene sollten weiter in einem feierlichen Rahmen von der Gemeinde hervorgehoben und gewürdigt werden. Alles andere sollte aber Sache der Vereine und Schulen sein. Das müssen auch die Ehrenden einsehen. Mit Blick auf Wählerstimmen stehen sie gerne im Licht und schmeichelnde Worte tun ein Übriges.Kehren wir zurück zur Normalität. Sparen wir nicht mit Anerkennung und Dank, aber vermeiden wir kontraproduktive Überhöhungen und unterschwellig anklingende  Zwangsrekrutierungen.

Rüdiger Zwarg

Bündnis 90/Die Grüne