Ich habe viel Humor. Das hat mich sowie Wegbegleiter schon über viele Hürden getragen.
Sarkasmus und Ironie haben mir allerdings – auch das sei gesagt – manchmal Probleme eingebracht. Und so habe ich bei dem folgenden Text ein wenig Bauchgrummeln.
Wer bin ich, dass ich es mir herausnehme, Richter am obersten bayerischen Verwaltungsgericht zu kritisieren? Doch hey, sooo spaßig ist die Geschichte nun auch wieder nicht. So ein Prozess macht viel Arbeit. Man braucht Zeit, Geduld, nochmal Geduld und mehr Geld als unser Ortsverband auf der hohen Kante hat. Spenden sind daher sehr willkommen (IBAN DE14702501500430256198 oder Gutschrift per PayPal.me). Es geht bei der Ausschussbesetzung um den Ausfluss einer Wahl und damit um die Demokratie. Die Frage, ob es uns die Mühe und das Geld wert ist, stellt sich nicht.
Wer sich als Volljurist:in auf diese Seite verirrt, möge mich bitte mit seinem/ihrem Sachverstand einbremsen und mich umgehend auf (Denk-)Fehler hinweisen. (Zuspruch ist natürlich auch willkommen.)
Die Richter Dr. Dieter Zöllner, Anton Stadlöder und Martin Nebel (4. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, München) schreiben:
Der von der Klägerin ferner geltend gemachte Zulassungsgrund der besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
Ich finde, dass zumindest die Schwierigkeiten des Gerichts schon ziemlich schnell zu Tage treten. Nämlich schon bei der Interpretation dessen, was der vierte BayVGH-Senat selbst in früheren Urteilstexten geschrieben hatte – unter gleichem Vorsitz (LOL).
Der Landesgesetzgeber hat bei den Ausschüssen zur Frage des Verteilungsverfahrens keine näheren Vorgaben gemacht. Es ist Konsens, dass den Verfahren nach d’Hondt, Hare-Niemeyer und Sainte-Laguë/Schepers keine verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Und es ist vielfach vom BayVGH formuliert worden, dass die kommunalen Gremien daher grundsätzlich die Auswahl haben „unter den verschiedenen Berechnungsverfahren, die den aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie und aus dem Gebot der Wahlgleichheit folgenden ungeschriebenen Anforderungen gerecht werden.” (Sorry für die Formulierung. Sie ist wörtlich der anhängenden Ablehnung unseres Antrags auf Zulassung der Berufung entnommen (Rn 16)).
Während in der Umgangssprache „grundsätzlich” häufig im Sinne von „ausnahmslos” verwendet wird, heißt es im juristischen Kontext „vom Grundsatz/Prinzip her”; es gibt Ausnahmen. Eine Ausschussbesetzung ist demnach bei Anwendung eines der o.g. drei Verfahren im Prinzip OK, also nicht per se rechtswidrig.
Beispiel:
Grundsätzlich sind Axt und Säge zur Holzbearbeitung geeignet. Ich habe Christbäume schon mit der Säge und mit der Axt gefällt. Für das Zuschneiden eines Bretts ist die Axt aber trotz der grundsätzlichen Eignung zur Holzbearbeitung ungeeignet.
Ausschussbesetzungen, die nach einem der drei genannten Verfahren erfolgen, sind nicht automatisch rechtmäßig. Sie können durchaus im Einzelfall rechtswidrig sein. Der 4. Senat schreibt aber:
Die kommunalen Vertretungskörperschaften sind daher frei, eines der zulässigen Berechnungsverfahren für die Ausschussbesetzung zu wählen. Die Beweggründe der Gemeinde- oder Stadtratsmitglieder sind grundsätzlich unerheblich.
Die Herren Dr. Dieter Zöllner, Anton Stadlöder und Martin Nebel setzen sogar noch einen drauf:
Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, welche Auswirkungen die Wahl des Berechnungsverfahrens auf die Zusammensetzung der Ausschüsse hat.
An dieser Stelle ist mir die Kinnlade runtergefallen. Wie der Senat selbst feststellt, hat der Landesgesetzgeber zur Frage des Verteilungsverfahrens keine näheren Vorgaben gemacht. Andererseits fordert die Gemeindeordnung des Freistaats Bayern in Art. 33 (1):
Hierbei hat der Gemeinderat dem Stärkeverhältnis der in ihm vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung zu tragen.
Etwas, was nicht im Gesetz steht (die freie, willkürliche, begründungsfreie Wahl des Verfahrens) erhebt der vierte Senat zum Dogma, dem sich alles andere unterzuordnen hat; auch das, was tatsächlich im Gesetz steht und damit mehr Gewicht haben müsste (vgl. BayGO Art. 33). Es scheint, als hätte es sich der vierte Senat mit der Verneinung „besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache” etwas zu einfach gemacht.
Der 4. Senat des BayVGH hat den Begriff des „strikten Normbefehls” 2015 im Urteil 4 BV 15.201 selbst verwendet. Auch hier war der Vorsitzende Richter Dr. Zöllner.
Der strikte Normbefehl („hat … dem Stärkeverhältnis … Rechnung zu tragen“) und mit ihm die richterliche Kontrolle stoßen in einer Situation wechselseitig begünstigender und belastender Rundungsfehler indes an Grenzen. Lassen sich die gesetzlich eingeräumten Wahlmöglichkeiten gerade damit begründen, dass allen Berechnungsverfahren spezifische Fehler immanent sind.
Darauf, ein Ergebnis als gleichgültig anzusehen, weil man es hundertprozentig sowieso nicht hinkriegt, muss man erstmal kommen. Die den Berechnungsverfahren innewohnenden, spezifischen Fehler sind unterschiedlicher Natur – spezifisch eben – und unterschiedlich groß. Man sollte sich daher immer die Fehler im konkreten Fall anschauen. Das hat das Gericht sogar gemacht. Aber mit überraschendem, ziemlich abstrusen Ergebnis:
Eine Pattsituation zwingt die Gemeinde auch dann nicht zur Wahl eines anderen Berechnungsverfahrens, wenn das gewählte Verfahren in Zusammenhang mit der Pattauflösung – wie hier – dazu führt, dass eine Partei oder Wählergruppe, die dieselbe Anzahl an Sitzen im Gemeinderat wie eine andere Partei oder Wählergruppe hat, über die Pattauflösungsregel die doppelte Anzahl von Sitzen (hier: 2: 1) in den Ausschüssen erhält.
Mit Sainte-Laguë/Schepers könnte in den Ausschüssen jegliche proportionale Abweichung zwischen SPD und Grüne vermieden werden. Die beiden Parteien wären, wie es die grundgesetzlich garantierte Chancengleichheit der Parteien fordert, in den Ausschüssen entsprechend dem Verhältnis im Gemeinderat gleich stark. Zwischen CSU und Grüne besteht derzeit (Hare-Niemeyer) beim Stärkeverhältnis ein Fehler – also eine Abweichung vom Ideal 1 (gleiches Verhältnis in Gemeinderat und Ausschüssen) – von 77% (4 : 2,25 = 1,77). Mit Hilfe des Verfahrens Sainte-Laguë/Schepers könnte dieser Fehler mehr als halbiert werden auf unter 34% (1,5 : 2,25 = 0,66). Die spezifischen Fehler bei der Anwendung von Hare-Niemeyer ließen sich in Kirchheim im Interesse der von Art. 33 der BayGO geforderten Spiegelbildlichkeit mit Sainte-Laguë/Schepers von 100% bzw. 77% auf 0% bzw. 34% senken. Irrelevant, sagt das Gericht. WTF, sag‘ ich.
Mehr soll man vom höchsten bayerischen Verwaltungsgericht nicht erwarten können? Stark!
Rüdiger Zwarg
PS
Es ist noch nicht zu Ende, denn es ist noch nicht gut. Wir machen weiter.
Download >> Entscheidung Berufungsantrag
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