Riesen-Rhododendron

Vor gut einhundert Jahren gründeten Calvinisten in Den Helder an der Nordsee einen Bund gegen das Fluchen. Den Bund gibt es immer noch. Er hebt nicht nur den Zeigefinger, sondern gibt auch Handlungsempfehlungen. Der Bund empfielt, sich ein Repertoire harmloser Ausdrücke anzulegen, die man ersatzweise mit fluchartiger Wucht vortragen kann. Solche Meldungen machen vorzugsweise in der Saure-Gurken-Zeit die Runde. Man schmunzelt und vergisst sie schnell wieder.

Jetzt war die Erinnerung plötzlich wieder da. Eine Kolumne vor der Wahl zu schreiben, die erst danach erscheint. Was für ein Riesen-Rhododendron! Zumindest dann, wenn man keine Glaskugel zur Hand hat.

Danken kann man in jedem Fall. Allen danken, die durch Ihre Wahlbeteiligung zur Legitimation des Ergebnisses beitrugen. Noch ein bisschen mehr denjenigen, die uns ihre Stimme gaben und uns so ihr Vertrauen schenkten. Eine Gruppe verdient es diesmal aber, ganz besonders hervorgehoben zu werden. Immer ist es so, dass die vielen Wahlhelfer eine Wahl erst ermöglichen. Doch diesmal war nicht „immer“. Es war besonders und so nicht vorhersehbar. Angesichts des Corona-Virus werden sich viele Helfer*innen gedacht haben: „Auf was habe ich mich da eingelassen?“ Überwiegend sind die Helfer*innen dabeigeblieben, einige werden abgesprungen sein. Ein Ehrenamt ist nie Pflicht, sondern immer freiwillig. Deswegen muss man keiner Risikogruppe angehören, um es sich anders zu überlegen.

An das Wahlergebnis knüpfe ich für meine dritte Wahlperiode große Hoffnungen. Meine neuen Kolleg*innen werden hoffentlich als selbstverständlich ansehen können, was ich mir zunächst nur vorstelle. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn unsere Verwaltungsmitarbeiter den Gemeinderäten in eigener Verantwortung Auskunft nach bestem Wissen und Gewissen geben dürften. Wie es wäre, wenn Fragen aus dem Gremium beantwortet würden, sobald die Antworten vorliegen und nicht erst in der nächsten Sitzung. Wie es wäre, wenn sich die Antworten in den Sitzungsunterlagen wiederfänden, statt vom Blatt ab- und vorgelesen zu werden.

Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn das, was ist, nicht hinter einem Nebel schöner Worte verschwände, sondern offen ausgesprochen würde. Wenn Transparenz und Ehrlichkeit dazu führen, dass etwas beim nächsten Mal besser klappt.

„Alles neu macht der Mai“, heißt ein Kinderlied. Wir werden in jedem Fall aktiv dabei sein, wenn die Weichen in den nächsten sechs Jahren neu gestellt werden. Wir werden aus dem Wahlkampf mitnehmen, dass wir das „Warum“ besser kommunizieren müssen, wenn wir unsere Zustimmung verweigern. Die SPD meinte an die Erstwähler gerichtet, wir agierten unökologisch und seien immer gegen alles.

Wir sind immer für etwas. Immer! Zum Beispiel sind wir dafür, dass die wenigen alten Bäume in Kirchheim Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen erhalten. Wir haben genug freie Äcker für die Schaffung von Wohnraum. Vor Kirchheim2030 waren es allerdings mehr als jetzt. Flächen aus der Ortsentwicklung herauszunehmen, den sogenannten Umgriff zu verkleinern, war ja das Ziel von Kirchheim2030. Es ging ums Geld.

Weil eine Baumschutzverordnung nicht verhindern würde, dass Grundstücke vor der Bebauung unter dem Vorwand des öffentlichen Interesses komplett leer gerodet werden, sind wir aber gegen die zuletzt zur Abstimmung vorgelegte Baumschutzverordnung. Im Rahmen von Kirchheim2030 werden Hunderte von Bäumen gefällt. Die meisten könnten wir über etwas anders aussehende Bebauungspläne retten. Wir wären dabei.

Eine Feigenblatt-Verordnung, die de facto auf kaum mehr als ein Dutzend private Fällungen abzielt, wollten wir jedoch nicht mitbeschließen. Man kann anderer Meinung sein, auch innerhalb unseres Ortsverbandes. Wir wollten letztlich angesichts der Relationen die Bürger mit Ihren 250m2 Grundstücken nicht stärker einschränken als Bauträger, zumal in den Bestandssiedlungen sowieso meist geeignete Ersatzpflanzungen erfolgen müssen.

Ihr Rüdiger Zwarg

 

Verwandte Artikel