Aktualisiert: Urteil wegen Ausschussbildung

Leider haben wir in erster Instanz verloren.  Unsere Verweise auf das Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht machten offensichtlich wenig Eindruck. Es ist sehr leicht, beim Lesen von Urteilen und juristischen Schreiben den Wald vor lauter Bäumen zu übersehen. Viele Passagen ohne Relevanz und viele Wiederholungen machen das Lesen schwer. Bekommen Juristen eigentlich Zeilengeld?

Im Folgenden finden Sie die Randnummern (Rn) aus dem Urteil gefolgt von unserer Anmerkung und Antwort dazu. Wir beschränken uns auf die eingängigsten Kritikpunkte.

Rn 61
Soweit die Klägerin den behaupteten Verstoß gegen das Gebot der Spiegelbildlichkeit damit begründet, dass sie trotz gleicher Stärke im Gemeinderat in den Ausschüssen einen Sitz weniger als die SPD-Fraktion innehat, ist darauf hinzuweisen, dass eine vollständige Spiegelbildlichkeit auch in Bezug auf die anderen Fraktionen nicht erreicht wurde. So haben die JU-Fraktion, die VFW-Fraktion und die FDP-Fraktion (bzw. die Ausschussgemeinschaft FDP/VOLT) in den Ausschüssen jeweils einen Sitz, sind dort somit gleich stark vertreten, obwohl die JU-Fraktion im Plenum mit drei Sitzen einen Sitz mehr als die beiden anderen hat.
Antwort
Die Kammer konnte oder wollte das Problem nicht sehen. Dazu mag auch das (coronabedingte) schriftliche Verfahren beigetragen haben. Dass unterschiedliche Inputs zum gleichen Output führen, ist Alltag: ob 1,7 oder 1,85 – gerundet auf die nächste ganze Zahl ist das 2.  Dass aber gleiche Inputs (z.B. vier Sitze im Gemeinderat) zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (Zahl der Ausschusssitze) ist inakzeptabel und mit der grundgesetzlichen Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen und Chancengleichheit der Parteien unvereinbar. Gleich stark im Gemeinderat muss heißen: gleich stark im Ausschuss. Denn wie groß auch immer die Abbildungs- bzw. Rundungsfehler sein mögen, sie müssen sich gleich auswirken. Mal so, mal so geht gar nicht.

Rn 62
…nach Sainte-Laguë/Schepers, bekäme die CSU-Fraktion 7,5% weniger als die ihr mathematisch zustehenden Sitze… Mithin ist festzustellen, dass die [größte] Abweichung [von den den Beteiligten rechnerisch zustehenden Sitzen] bei Anwendung des Verfahrens nach Hare-Niemeyer mit 6,7% zulasten der Klägerin insgesamt am kleinsten ist.
Antwort
Diese (absoluten) Abweichungen sind ohne jegliche Relevanz. Ein solches Scheinargument in einem Urteil zu finden, ist einfach nur ärgerlich. Die sichere Interpretation von Gesetzestexten sollte man bei Richtern voraussetzen können, wenn das Vertrauen in unsere Rechtspflege nicht ganz entschwinden soll. An der Zahl der Köpfe kann es nicht liegen. Beim Verwaltungsgerichtsprozess entscheiden fünf Richter! Die Gemeindeordnung verlangt in Art. 33 (1), dass dem Stärkeverhältnis der Parteien Rechnung zu tragen ist. Denn es sind die Stimmenverhältnisse, die über Erfolg oder Misserfolg von Anträgen entscheiden. Derzeit stellen sich die Sitzverhältnisse so dar:

  • Im Gemeinderat >> CSU:Grüne = 9:4 = 2,25 // SPD:Grüne = 4:4 = 1
  • In den Ausschüssen >> CSU:Grüne = 4:1 = 4 // SPD:Grüne = 2:1 = 2
  • Mit Sainte-Laguë/Schepers >> CSU:Grüne = 3:2 = 1,5 // SPD:Grüne 2:2 = 1

Mit Sainte-Laguë/Schepers lässt sich in den Ausschüssen jegliche proportionale Abweichung zwischen SPD und Grüne vermeiden.  Wie im Gemeinderat wären die Parteien gleich stark.  Der Fehler im Stärkeverhältnis zwischen CSU und Grünen beträgt bei Hare-Niemeyer 77% (4 : 2,25 = 1,77). Mit Hilfe des Verfahrens Sainte-Laguë/Schepers kann dieser Fehler mehr als halbiert werden auf unter 34% (1,5 : 2,25 = 0,66).
Anm: Zu betrachten ist jeweils die Abweichung vom Ideal 1 (perfekte Spiegelbildlichkeit, d.h. gleiches Stärkeverhältnis in Gemeinderat und Ausschüssen)

Rn 63 und 64
Die Wahl des Berechnungsverfahrens verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot. In der Geschäftsordnung des Gemeinderats getroffene Organisations- oder Verfahrensregelungen sind willkürlich und daher unzulässig, wenn sie sich gegen eine bestimmte politische Gruppierung richten und das alleinige oder vorrangige Ziel verfolgen, deren Tätigkeit zu beeinträchtigen oder sie als unerwünschte politische Kraft auszuschalten.
Antwort
Laut Wikipedia ist Willkür die Rechtsanwendung ohne sachlichen Grund. Dem Verwaltungsgericht München reicht das Fehlen eines sachlichen Grundes nicht. Die Kammer sieht es als notwendig und unverzichtbar an, dass die irrationale Verfahrenswahl das alleinige oder vorrangige Ziel hatte, die Tätigkeit der Grünen zu beeinträchtigen oder sie als unerwünschte politische Kraft auszuschalten. „Allein“ bzw. „vorrangig“ – wie soll man das beweisen? „Ohne sachlichen Grund“ (bzw. eigentlich sogar: „gegen jeden sachlichen Grund“) sollte für Willkür ausreichen. Im direkten Vergleich mit dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers lässt sich für die Anwendung von Hare-Niemeyer kein einziges relevantes Argument anführen!

  1. Hare-Niemeyer stellt im Gegensatz zu Sainte-Laguë/Schepers in der Kirchheimer Konstellation nicht die vom Grundgesetz geforderte Chancengleichheit der Parteien sicher (SPD ./. Grüne).
  2. Hare-Niemeyer ist in der Kirchheimer Konstellation Sainte-Laguë/Schepers hinsichtlich der in der Gemeindeordnung geforderten Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der Parteien weit unterlegen. Abweichungen von 78 und 100% stehen Abweichungen von 34 und 0% gegenüber. Nur auf die Stärkeverhältnisse kommt es an, nicht auf die absoluten Abweichungen zu den rechnerisch zustehenden Sitzen (s.BayGO Art.33 (1))
  3. Hare-Niemeyer sorgt im Gegensatz zu Sainte-Laguë/Schepers in der Kirchheimer Konstellation nicht dafür, dass jede Partei/Fraktion in jedem Ausschuss vertreten ist. Derzeit ist FDP/Volt im Rechnungsprüfungsausschuss nicht vertreten (Widerspruch zum „glaubhaften Vortrag der Beklagten“ Rn 65 der Urteilsbegründung)

Insgesamt ist das Urteil eine Katastrophe. Nicht nur die Qualität des Urteils lässt zu wünschen übrig. Auch die Dauer des Prozesses ist ein Ärgernis. Und das immer mehr. Die personelle Ausstattung unseres Rechtssystems ist unzureichend. Wir gehen jetzt ins zweite Jahr, in dem wir in den Ausschüssen unterrepräsentiert sind. Die Hälfte unserer Wähler werden weiterhin von der politischen Mitwirkung in den Ausschüssen ausgeschlossen. Derweil wird die finanzielle Kraft unseres Ortsverbandes durch den Instanzenweg überstrapaziert. Auch können wir nicht einfach in Berufung gehen, sondern müssen die Zulassung der Berufung beantragen. Wir hoffen auf einen Sieg der Vernunft und die Zulassung unseres Antrags.

Wer uns in diesem Rechtsstreit mit einer Spende zumindest einen Teil der finanziellen Sorgen nehmen möchte, findet alle Infos hier:
https://gruene-ml.de/kirchheim/spenden/
(IBAN: DE14 7025 0150 0430 2561 98)

 

Wir stellen das Urteil hier zum Download zur Verfügung.

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