Anni Proulx: „Aus hartem Holz“ (amerikanischer Originaltitel „Barkskins“, erschienen 2016)
Luchterhand, ISBN:978-3-630-87249-0
Zugegeben, das Buch ist lang, um genau zu sein, es sind 836 Seiten.
Aber es lohnt, sich die Zeit zu nehmen! Und in Zeiten des Lockdowns, ohne Angebote des „Amusements“, wie z.B. Konzerten, Theater, Kino, Oper, Ausstellungen, Vorträgen, Volkshochschulkursen, etc., genau das Richtige.
Und: es ist faszinierend von der ersten bis zur letzten Seite!
Was ist es?
Ein historischer Roman/historische Fiktion auf den Grundlagen sorgfältig recherchierter Fakten sowie geschichtlich und ökologischer Entwicklungen.
Worum geht es?
Es beginnt mit der Besiedlung Nordamerikas (Kanada und den Staaten von Neuengland) durch die Europäer Ende des 17.. Jahrhunderts. Und das Buch endet auch dort; zu Beginn des 21.Jahrhunderts mit all seinen Herausforderungen Mensch und Natur betreffend.
Anhand der Geschichte eines ehrgeizigen, aufstrebenden Siedlers und dessen Nachkommenschaft geschildert, wie über die Jahrhunderte hinweg der Kontinent seines alten, wilden und ehrwürdigen Waldes in einem nicht enden wollenden Prozess beraubt und zerstört wird.
[…] Manchmal ging er auf schwer erkennbaren Indianerpfaden und folgte Markierungen, die der gezackte Horizont aus Nadelbäumen fast verdeckte, doch meistens bahnte er sich seinen Weg über abgeholzte Stellen und durch Windbrüche. Holzhacker hatten zwar den Bereich in Flussnähe bearbeitet, aber keine Meile landeinwärts war der Wald immer noch terre sauvage und atmete wie der Ozean erhabene Wildheit […]
Es geht darum Geschäfte zu machen und Gewinne zu schöpfen….Holzfäller und erste Spekulanten kommen meistens alleine in die neuen Kolonien, suchen sexuellen Kontakt zu den Frauen der jeweils ansässigen indigenen Bevölkerung. So entstehen neue gemischte „Familien“, die sich von einer Generation zur anderen von ihren ursprünglichen Wurzeln entfernen.
Das wird durch die Geschichte eines eingewanderten französischen Holzfällers lebendig, der mit einer Frau der „mi’kmaq = First Nation People“ eine Familie gründet. Anhand deren Nachkommen wird beschrieben, wie Indigene und Europäer sich generationsübergreifend weiter vermischen. Sie werden die Gruppe der „Halbblut“ in Nordamerika. Deren Schicksal ist voller Widersprüche: sie gehören weder zur einen, noch zur anderen Kultur , sie werden diskriminiert. Das beschreibt die Autorin einfühlsam und lebensnah.
Bei der indigenen Bevölkerung wird damit ein Prozess der Entfremdung von ihrer eigenen Sprache, ihren Stärken im Umgang mit der Natur, der Lebensweise im Clan, ihren Riten und deren gesamter Kultur eingeleitet. Für die Weißen aber sind die „Halbblut“ hervorragende Arbeitskräfte im harten Alltag der Holzfäller, sie werden maximal und schamlos ausgebeutet. Den Frauen beleibt oft nur der Weg in die Prostitution. Diese Entwurzelung endet schließlich in der nahezu vollkommenen Zerstörung der indigenen Völker des amerikanischen Kontinents :
[…] „Willst Du nichts trinken, Cousin?“, fragte Rouge Emil, aber Theoiste wandte den Kopf ab. „Der Whiskey des weißen Mannes war mir schon immer zuwider“, murmelte er. Rouge Emil trank weiter bis er besinnungslos zu Boden fiel. […]
Da die Wälder in Nordamerika im Laufe der Jahrhunderte durch die Abholzungen kleiner werden, halten die – inzwischen amerikanischen – Holzmogule im 19. Jahrhundert nach neuen Ressourcen Ausschau und werden fündig in Neuseeland:
[…] Nicht zum ersten Mal stellte er fest, dass Duke & Sons gierig genug war, um den gesamten Kontinent abzuholzen. Und er half ihnen dabei. Er verabscheute die amerikanische Kahlschlagpolitik, die aberwitzige Verschwendung von gesundem, wertvollem Holz, die Zerstörung des Bodens, die unweigerlich folgende Erosion, die Vernichtung des Lebens in den Wäldern ohne einen Gedanken an die Zukunft – die Holzfäller glaubten, die Wälder seien unerschöpflich, denn es gab immer noch einen weiteren Wald. […]
Annie Proulx hat sich intensiv mit den ökologischen Folgen der Zerstörung der Wälder weltweit auseinandergesetzt und weist damit auf die Wurzeln der aktuellen Klimakatastrophe hin.
Das Buch endet mit einem Hauch von Licht am Horizont, indem die Autorin das Wiedererstarken der heutigen indigenen Menschen in Nordamerika und deren Verbindung zu umweltbewussten und engagierten Nachkommen der ehemaligen Siedler aufzeigt. Doch all das deutet auf große Herausforderungen hin:
[…] „ Mein Gott, wie stark es schmilzt“ hatte sie vor sich hin geflüstert. Riesige Risse, Tausende Meter tief, vom Schmelzwasser aufgebrochen, das das harte blaue Eis erodieren ließ, Risse, die sich öffneten, um den Wasserfall aufzunehmen, der bis zu dem Fels unter dem riesigen Eisbett reichte, sich unter dem Eis ins Meer drängte, die riesige Polkappe unterspülte. Am Rand eines der grauenhaft donnernden Abgründe sagte einer der Eisforscher: „Wir sehen etwas, was noch nie jemand gesehen hat.“ […]
„Aus hartem Holz“ ist ein Buch, das zum einen Einblick in die harte Wirklichkeit unserer Vergangenheit gibt, zum anderen die Herausforderungen für die Zukunft unseres Planeten aufzeigt. Es spricht uns ganz persönlich an indem es unseren Respekt, unsere Liebe und unser Engagement für unser aller Lebensraum in uns wachruft.
Mich hat an diesem Buch fasziniert, wie Anni Proulx es schafft, mich ganz in die Welt des großen amerikanischen Kontinents hinein zu ziehen. Ihre fiktiven Menschen werden total lebendig, so dass ich deren individuelles Schicksal emotional nachempfinden konnte. Am meisten haben mich die Wälder und die großen Flüsse berührt. Tiere und Pflanzen bildeten die Lebensgrundlage der „First People“, all das entfaltete für mich eine große Magie. Nachzuvollziehen, dass dieses große Wunderwerk zerstört wurde hat mich traurig gemacht….
Trotzdem musste ich immer weiter lesen.
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„Aus hartem Holz“, Taschenbuch
Im Januar 2021 gelesen und besprochen von Ragnhild Eßwein-Koppen.
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