Rückschau: Grünes Kino im Herbst 2019
Aying, ein dunkler Frühabend im November. Hell leuchten die Fenster des Bürgerhauses.
Der Grüne Ortsverband ergänzt das Kulturangebot unserer Gemeinde um einen Kinoabend im Herbst. Gezeigt wird „Wackersdorf“, ein Polit-Drama um die Geschehnisse in der Oberpfalz der 1980er Jahre, Gewinner des Deutschen Filmpreises für die Beste Filmmusik und des Publikumspreises von BR2 und SZ beim Filmfest München.
Um viertel nach sieben treffen die ersten Gäste ein und geregte Gespräche entspinnen sich. Es geht um Proteste, bei denen man dabei war, um Bürgerbewegungen von gestern und heute, Stichworte wie „Flughafen Hofoldinger Forst“, „Kieswerk“, „Ende Gelände“ und „Atomkraft, nein danke“ fallen. Die Erwartungen an den Film sind hoch, man hat vieles darüber gehört und gelesen. Um halb acht greift Bürgermeisterkandidatin Christine Squarra zum Mikrofon und begrüßt die Zuschauer*innen. Sie nutzt die Gelegenheit und weist auf den nächsten internationalen Klimastreik am 29.11. hin, an dem „Aying For Future“ teilnehmen wird. Wie aktuell das Thema „Bürgerbewegung“ ist, wird spätestens jetzt jedem klar. Christine erklärt auch kurz, wie die Entscheidung für diesen Film fiel: kurz vor der Kommunalwahl wünschte sie sich ganz persönlich diesen Film, um gemeinsam die Rolle von Kommunalpolitiker*innen zu diskutieren.
Dann wird es dunkel im Saal und es heißt: „Film ab!“.
„Sie konnten mich doch noch nie leiden. Weil ich ein Anhänger vom Strauß bin oder weil ich studiert habe?“, heißt es in einer Szene des Films. Im Publikum murmelt jemand „Man weiß nicht, was schlimmer ist“, und allgemeines Kichern ist zu hören. Gerade die Szenen, in denen im oberpfälzischen Dialekt gestritten wird, sorgen immer mal wieder für Amüsement. Doch schnell bleibt einem das Lachen im Halse stecken, als sich auf der Leinwand die Zweifel von Landrat Schuierer an der Wiederaufbereitungsanlage angesichts des massiven Drucks von „oben“, sprich der Staatsregierung unter F.-J. Strauß vertiefen.
Visuell nüchtern und ohne jegliche Nebenhandlungen der Charaktere kommt der Film ohne Randbemerkungen und emotionales Dekor aus. Beklemmende Erinnerungen kommen hoch an eine Zeit, als man Informationen nicht in Sekundenschnelle überprüfen konnte und Männer, für die das Dritte Reich noch nicht historisch war, in verstaubten Amtsstuben über die Belange der Bürger*innen entschieden, ohne den Bürger*innen Möglichkeit zur Mitsprache oder gar zur Entscheidungsbeeinflussung außerhalb von Wahlen zu geben.
Die Filmmusik ist beeindruckend atmosphärisch, gerade bei den eingespielten Originalszenen, die die Abholzung und die Baumaßnahmen quälend detailliert zeigen, denen die unrealistisch musikalischen Chorgesänge der Demonstrant*innen entgegenschallen. Der Film endet mit den Originalbeiträgen der Tagesschau zur Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, die auch über 30 Jahre später nichts von ihrem Schrecken verloren haben. Dieses Ende lässt uns nachdenklich, ja tief betroffen zurück und erinnert eindringlich daran, dass man gerade in Zeiten von Fake News sich das Zweifeln nicht abgewöhnen sollte.
Nachdem das Licht wieder angegangen ist und alle aus dem Film zurückgekehrt sind, ergreift Christine erneut das Wort. Sie zeigt sich beeindruckt von der Entwicklung des Landrats und fragt nach, was die Zuschauer*innen an diesem Politiker besonders beeindruckt hat. Franz beeindruckte die Lernbereitschaft und das Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit und er gibt zu bedenken, dass es eine große Herausforderung für eine politisch verantwortliche Person und Mandatsträger*innen im Allgemein ist, ein Statement abzugeben und eine politische Entscheidung zu treffen und danach neue Informationen einzubinden die die gefällte Entscheidung in Frage stellen. Er sieht es als ein „großartiges Zeichen an, wenn ein*e Politiker*in sagen kann, meine erste Entscheidung ist falsch, ich habe dazugelernt“.
Nicht zu trennen vom Kontakt mit der betroffenen Bevölkerung ist der Lernprozess von Landrat Schuierer: Er lässt sich darauf ein, den Menschen zuzuhören, die sich mit den Schattenseiten des „großartigen Angebots der Staatsregierung und des Energiekonzerns zur Rettung der verarmten Bevölkerung der Oberpfalz“ bereits kritisch befasst hatten. Letztendlich unterstützt er seine Bürger*innen und sie ihn im Bestreben ihr gemeinsames Lebensumfeld nicht durch eine Wiederaufbereitungsanlage von Atommüll zerstören zu lassen. Dass sich dabei viel Vertrauen in den Staat und seine Ordnungsorgane als Illusion herausstellt ist ein schmerzhafter Prozess. Der führt aber dazu, dass viele zu der Erkenntnis gelangen, dass sich alle Bürger*innen aktiv in die demokratischen Prozesse einbringen müssen, damit ihre Rechte gewahrt bleiben.
Julia stellt fest, dass auch heute noch Entscheidungen gegen die Mehrheit der Bevölkerung getroffen werden, insbesondere wenn diese nicht rechtzeitig, normalerweise einfach aufgrund von fehlenden Informationen, ihren Unmut zum Ausdruck bringt. Ohne zivilgesellschaftliches Engagement würden noch mehr umweltschädliche Projekte, die von der jeweiligen Industrie meist sehr einseitig beleuchtet und dargestellt werden, beschlossen und durchgeführt werden.
Dass man sich durch seinen Widerstand auch als Politiker*in nicht nur Freund*innen macht, konnte Christine ebenfalls am Beispiel des Protagonisten unseres Filmes deutlich machen. Noch heute gibt es in Bayern das „Lex Schuirer“, welches damals gegen den Landrat beschlossen wurde und das es übergeordneten Behörden erlaubt über den Kopf der gewählten Volksvertreter*innen hinweg Maßnahmen durchzusetzen, die zum Beispiel ein Landrat nicht mittragen will.
Abschließend noch ein Kommentar vom Regisseur: Regisseur Oliver Haffner, der von der „Geburtsstunde der bayerischen Zivilgesellschaft“ spricht: „Es war auch ein Konflikt zwischen dem reichen München und der armen Region, zwischen der Arroganz der Macht und einer Gegend, die sich nicht für dumm verkaufen lassen wollte.“ „Aber erst aus einem tiefen Wissen kann sich eine Haltung entwickeln. Und das ist das Hauptplädoyer des Films: Wir müssen wieder eine Haltung zur Welt entwickeln.“ (Quelle)
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