Vortrag Prof. Michael Schrödl am 11.11.2019 im Bürgersaal Glonn
Prof. Michael Schrödl ist Artenforscher an der Zoologischen Staatssammlung und der LMU München, und kämpft gegen das weltweite Artensterben. Das Fachgespräch ist eine Veranstaltung der Energieagentur Ebersberg-München, des Klimaschutzmanagers des Landkreises Ebersberg und des Katholischen Kreisbildungswerks Ebersberg in Kooperation mit dem Aktionskreis Energiewende Glonn 2020.
In seinem Vortrag „Artenschutz und Klimaschutz“ erklärt er warum diese beiden Phänomene ganz eng verknüpft sind, und sich auch gegenseitig befeuern.
Insgesamt ist das Wissen um die Artenvielfalt sehr begrenzt. So gibt es z.B. an der Zoologischen Staatssammlung (dem staatlichen Institut für Bayern) nur 14 Artenforscher, die neue Arten bestimmen und beschreiben. Durch Ihre Arbeit haben diese Artenforscher herausgefunden dass es viel mehr Arten gibt als gedacht, sie viel schwerer zu bestimmen sind als gedacht, viel kleinräumiger verbreitet als gedacht, und deshalb auch viel empfindlicher.
Es gibt mehrere Studien, die die Biomasse an flugfähigen Insekten in verschiedenen Gebieten untersucht haben. Die wahrscheinlich bekannteste ist die Krefelder Studie, in der über 27 Jahre hinweg die Insekten Biomasse in Schutzgebieten bestimmt wurde (Hallmann et al. 2017). Hier hat man einen Rückgang um 76% beobachtet. Das ist insofern erschreckend weil man ursprünglich angenommen hatte dass solche Schutzgebiete ein Refugium für Arten darstellen. Allerdings zeigt diese Studie (wie auch einige andere in anderen Teilen der Erde, z.B. dem Regenwald in Puerto Rico), dass auch solche Gebiete stark betroffen sind. Die Studienergebnisse sind repräsentativ für alle Biotope des deutschen Tieflands. Damit sind sie von überregionaler Bedeutung und lassen vermuten, dass es sich beim Insektenrückgang um ein flächendeckendes Problem handelt.
Für Bayern schätzt man gibt es knapp 40.000 Tierarten, plus X. Wobei X die Arten repräsentiert, die bisher gar nicht gefunden wurden (es gibt ja nur wenige Taxonomen, die dies tun könnten). Etwa 40% der erfassten Arten sind gefährdet.
Weltweit verschwinden 40 000 bis 60 000 Tierarten jährlich von der Erde. Damit befinden wir uns mitten im 6. großen Artensterben. Im Unterschied zu den fünf vorangegangenen ist dieses jedoch menschengemacht.
Hauptgründe für diesen Rückgang sind der Verlust der Habitate, intensive und flächendeckende Landwirtschaft mit systemischem Einsatz an Dünger und Pestiziden, die Entwässerung von Mooren und Feuchtflächen. Industrialisierte Monokulturen bedeuten das Ende der Vielfalt. Letzten Endes „verinseln“ Biotope.
Pestizide, sogar DDT (das schon lange in Deutschland verboten ist), wurden in der Rinde von Bäumen gefunden, die mehrere Kilometer vom Einsatzort stehen. Das lässt darauf schließen dass Pestizide nicht nur dort wirken, wo sie eingesetzt werden, sondern über den Abdrift auch auf entferntere Gebiete gelangen.
Zusammenfassend kann man sagen dass die Vielfalt totgespritzt und totgedüngt wird. Für Bayern schätzt Herr Schrödl einen Rückgang der Tierarten um 50% bis 2050.
Weiterer Druck auf Arten entsteht durch den Klimawandel, mit steigenden Temperaturen und häufiger werdenden Wetterextremen, wie die Dürresommer der letzten Jahre. Als Folge davon weichen Arten auf kühlere Gebiete aus, z.B. höhere Lagen in den Alpen. Allerdings ist dort der Platz begrenzt, es kommt zu Konkurrenz zwischen den Arten und Artenschwund.
Warum sind Arten wichtig für uns?
Sie stellen die Grundlage unseres Lebens dar und versorgen uns mit Ökosystemleistungen:
- Luft zum Atmen
- Sauberes Wasser zum Trinken
- Essen (fruchtbare Böden)
- Natur zum Erholen
- Pflanzen zum Bauen
- Pflanzen zum Heilen.
Lebewesen sind Indikatoren für ungute Umweltbedingungen, und auch Auslöser für Kettenreaktionen. Verschwinden die Arten als Funktionseinheiten aus den Ökosystemen, werden diese Ökosysteme instabil und kollabieren. Dieses Sterben ist irreversibel.
“ Noch gibt es Redundanzen im Tierreich: Stirbt eine Art aus, die CO2 im Meer bindet, Biomasse am Waldboden aufbaut oder Nährstoffe recycelt gibt es weitere Arten, die der gleichen Tätigkeit nachkommen. Geht das Sterben allerdings weiter, wird das Ökosystem instabil, es kippt.“
Die Aussterberate in diesem menschengemachten Artensterben ist dabei 1000 mal höher als die natürliche Rate (d.h. ohne menschlichen Einfluss). Biologisch verarmte Böden, Wälder und Meere sind weniger leistungsfähig und funktionieren nicht mehr ausreichend. Wie lange werden sie uns ausreichend Nahrung, Arzneimittel, Erholung, sauberes Wasser und Sauerstoff liefern?
Die meisten Menschen sind sich der Folgen des Artensterbens nicht bewusst, vor allem nicht dass die „Biokrise“ viel schneller voranschreitet als der Klimawandel. Leben ist empfindlich und stirbt schneller als Gletscher schmelzen und Ozeane steigen können. Kipppunkte in ökologischen, klimatischen und gesellschaftlichen Systemen werden erreicht.
Der Klimawandel befeuert die Biokrise:
- Lebende Organismen, ob als Urwaldriesen oder Bodenpilze, ob als Kalkalgen oder Flügelschnecken, sind bedeutende CO2 Senken, und bis zu 30% des menschengemachten CO2 wird von Pflanzen oder Mikroorganismen absorbiert.
- Durch ungünstige und sich zunehmend verschlechternde Lebensbedingungen, wie Wetterextreme (z.B. Dürre) und Temperaturerhöhung wird es zum Austrocknen der Wälder (inklusive der Regenwälder) kommen. Dadurch verwandeln sich diese CO2 Senken in CO2 Quellen. Das sieht man z.B. im Amazonas Regenwald, der unter dem Einfluss von Dürre nicht mehr als CO2 Speicher dient, sondern eher als CO2 neutral zu betrachten ist (Lewis et al. 2011). Beim Erreichen der Kipppunkte werden riesige Mengen CO2 frei. Das gilt nicht nur für den Regenwald, sondern auch für unsere heimischen Wä
- Schon jetzt brennen überall auf der Welt große Waldflächen, selbst arktische Wälder und Moore. Das dort frei werdende CO2 wird als Konsequenz des Klimawandels betrachtet, obwohl es eigentlich eine treibende Kraft ist, die den Klimawandel weiter beschleunigen wird. Dieses frei werdende CO2 taucht übrigens nicht in der offiziellen CO2 Bilanz mit auf (Report ARD Tagesthemen 2019).
- Durch Temperaturanstieg in heißen Sommern erwärmt sich der Permafrostboden, und es werden große Mengen klimawirksames Methan frei, weil Mikroorganismen bei diesen Temperaturen den Boden zersetzen.
- Die Ozeane haben 25% des menschengemachten CO2 gebunden, und die Hälfte des atmosphärischen Sauerstoffs wird durch Photosynthese durch marine Organismen hergestellt. Durch die Verschmutzung, Versauerung und Ausbeutung der Meere kommt es zum Verschwinden von Schalentieren, CO2 Senken die ersetzt werden durch Quallen.
Laut einem Bericht zu den ökologischen Belastungsgrenzen, einem Maß für die Erdgesundheit in 9 verschiedenen Bereichen, gilt die Belastungsgrenze im Bereich des Artensterbens als bereits ausgereizt (Rockström et al. 2009).
Laut Herrn Schrödl ist „Der Artenschwund ist die am übelsten überschrittene und leider auch die einzige irreversible „planetarische Grenze“. Beim Aussterben gilt: „Futsch ist futsch“, mit unabsehbaren Konsequenzen für uns alle.“
Die wahrscheinlich erschreckendste Prognose von Herrn Schrödl aber ist, dass die Konsequenzen des Artensterbens, vor allem der Kollaps der Ökosysteme, uns mit aller Wucht noch innerhalb unserer Generation treffen werden, wenn wir so weiter machen wie bisher. In diesem Szenario wird es die Zivilisation, so wie wir sie kennen, in dem Zeitfenster 2030-2050 nicht mehr geben. Das sollte uns alle aufrütteln.
Es gibt noch Hoffnung, sollten wir es schaffen die Erderwärmung auf +1.5° zu begrenzen. Bisher haben wir wenig getan um unsere Umwelt zu retten, es gibt also noch großes Handlungspotenzial!
Wir brauchen dringend und sofort „Echten Klimaschutz“, der die Natur, das Klima und die Menschen gemeinsam schützt.
In welche Richtung es weiter geht wird sich innerhalb des nächsten Jahrzehnts entscheiden. Soviel Zeit bleibt uns mit wirksamen Maßnahmen entgegen zu steuern. Das Volksbegehren Artenvielfalt hat gezeigt dass es den Bürgern in Bayern nicht egal ist, wenn jährlich tausende von Arten einfach verschwinden.
Damit es gar nicht erst so weit kommt, haben wir Ayinger Grüne ein zukunftsweisendes Programm zur Kommunalwahl geschrieben. Denn jede Gemeinde kann selbst etwas gegen das Artensterben tun!
Retten wir die Artenvielfalt, retten wir die Welt!
Global gesehen bräuchten wir eine Umstellung auf Öko-Land-, Wald-, und Fischereiwirtschaft, und die Renaturierung von Böden. Eine weitere wirksame Maßnahme wäre das Pflanzen von Bäumen in den Tropen und Subtropen.
Aber auch jede(r) Einzelne kann seinen Beitrag leisten, nicht nur im Hinblick auf seinen CO2 Fußabdruck, sondern auch im Hinblick auf den Artenschutz.
Dabei geht es nicht um Askese, sondern eher um bewussteres Konsumverhalten, und um das Ändern der eigenen Prioritäten.
Einen entscheidenden Beitrag zum Artenschutz kann man z.B. leisten durch:
- Bio-Lebensmittel fordern, fördern, kaufen
- Fleischkonsum reduzieren
- Lebensmittelverschwendung vermeiden
- Schutzmaßnahmen für Tiere, Lebensräume, und Umwelt.
Weitergehende Informationen zu diesem Thema gibt es in Michael Schrödls Büchern „Unsere Natur stirbt“ und „Biodiversitot“.
Referenzen:
Hallmann et al. 2017. More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809.
Lewis et al. 2011. The 2010 Amazon drought. Science 331: 554.
Rockström et al. 2009, Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating Space for Humanity. Nature 461, 472–475 (2009) doi:10.1038/461472a.
Aying, 15. November 2019
Dr. Ulrike Scholz
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